{"id":16441,"date":"2025-03-03T14:24:07","date_gmt":"2025-03-03T13:24:07","guid":{"rendered":"https:\/\/domicilium.de\/zen-spiritualitaet-bildung\/?p=16441"},"modified":"2025-03-03T14:36:59","modified_gmt":"2025-03-03T13:36:59","slug":"richard-stiegler-achtsames-leben-die-kunst-uebergaenge-zu-gestalten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/domicilium.de\/zen-spiritualitaet-bildung\/richard-stiegler-achtsames-leben-die-kunst-uebergaenge-zu-gestalten\/","title":{"rendered":"Richard Stiegler: \u201eAchtsames Leben \u2013 Die Kunst, \u00dcberg\u00e4nge zu gestalten“"},"content":{"rendered":"\t\t
Vor einer Woche fand in Deutschland die Bundestagswahl statt. Unabh\u00e4ngig davon, ob man einen Wechsel der Regierung begr\u00fc\u00dft oder nicht, es ist zutiefst nat\u00fcrlich, dass Dinge zu Ende gehen und Neues entsteht. Ob bei gesellschaftlichen Prozessen oder im pers\u00f6nlichen Leben \u2013 das Leben besteht aus einer Vielzahl von kleinen und gro\u00dfen \u00dcberg\u00e4ngen. Wer sich dagegen str\u00e4ubt, wird von den Ereignissen \u00fcberrollt. Und wer sich keine Zeit daf\u00fcr nimmt \u2013 vielleicht aus der Angst heraus, etwas zu vers\u00e4umen \u2013, wird im st\u00e4ndigen Wechsel der Situationen verloren gehen.<\/p>
Kennen wir nicht alle die Situation, dass wir innerlich noch so mit dem Alten besch\u00e4ftigt sind, dass wir noch gar nicht f\u00fcr das Kommende aufnahmef\u00e4hig sind? Ob im Konzert, bei Freunden oder im Teamgespr\u00e4ch, nur wenn wir uns f\u00fcr die \u00dcberg\u00e4nge Zeit lassen, entsteht ein Raum der Offenheit. Erst dann wird es uns gelingen, in der neuen Situation von Anfang an anwesend zu sein. In gewisser Weise k\u00f6nnte man daher sagen: Leben ist die Kunst, \u00dcberg\u00e4nge zu gestalten.<\/p>
Ein alter Mann wurde einmal gefragt, warum er keine M\u00f6bel habe. Worauf er antwortete: \u201eIch bin auf der Durchreise.\u201c So wie die Jahreszeiten kommen und gehen ist immer alles im Wandel. Daher sind wir alle auf der Durchreise und bewegen uns von \u00dcbergang zu \u00dcbergang. Da gibt es gro\u00dfe Lebensabschnitts\u00fcberg\u00e4nge wie der \u00dcbertritt ins Berufsleben, der Beginn einer Elternschaft, der Verlust einer langj\u00e4hrigen Beziehung oder der \u00dcbergang in die Rente. Da sind aber auch die vielen kleinen \u00dcberg\u00e4nge im Laufe der Woche, wenn wir morgens mit der Arbeit beginnen und abends wieder heimkommen, oder wenn wir jemanden besuchen. All diese kleinen und gro\u00dfen \u00dcberg\u00e4nge fordern von uns, dass wir uns \u00f6ffnen f\u00fcr das Kommende, um wirklich anwesend zu sein.<\/p> Unabh\u00e4ngig davon, ob es ein kleiner Situationswechsel im Tagesverlauf ist oder ob ein neuer Lebensabschnitt beginnt, lassen sich bei \u00dcberg\u00e4ngen drei Phasen beobachten. Nur die L\u00e4nge der Phasen kann sehr unterschiedlich sein \u2013 von wenigen Minuten bis hin zu vielen Monaten.<\/p> \u00dcberg\u00e4nge kann man auch \u201eEndanf\u00e4nge\u201c nennen. Ein Begriff, der deutlich macht, dass ein \u00dcbergang immer mit dem Ende des Vorhergegangenen beginnt, also mit dem Abschlie\u00dfen. Der erste Schritt, um einen \u00dcbergang achtsam zu gestalten, besteht darin, das Vorhergegangene sorgf\u00e4ltig \u00e4u\u00dferlich und innerlich abzuschlie\u00dfen. Das ist nicht selbstverst\u00e4ndlich. Wir neigen manchmal dazu, Dinge mit gro\u00dfer Sorgfalt und Liebe zu beginnen, zum Beispiel wenn wir ein Festmahl f\u00fcr Freunde ausrichten. Aber schenken wir dem Ende und dem Aufr\u00e4umen die gleiche Sorgfalt? St\u00fcrmen wir abends aus dem B\u00fcro oder r\u00e4umen wir den Arbeitsplatz erst in aller Ruhe auf?<\/p> Etwas sorgf\u00e4ltig aufzur\u00e4umen und abzuschlie\u00dfen hat zwei Funktionen: Erstens entsteht dann \u00e4u\u00dferlich keine Unordnung, und zweitens k\u00f6nnen wir dabei das Geschehene innerlich verdauen und integrieren. Das ist wesentlich, denn alles, was wir erfahren, muss seelisch verdaut werden. Das gilt f\u00fcr Schwieriges genauso wie f\u00fcr Erfreuliches. Dieser innere Verdauungsprozess geschieht als Nebeneffekt bei einfachen T\u00e4tigkeiten, die uns erden, wie zum Beispiel Aufr\u00e4umen, Putzen, im Garten arbeiten oder Spazierengehen in der Natur. Manchmal ist es aber auch wichtig, uns dem Erlebten nochmal bewusst zuzuwenden, damit es integriert werden kann. Das kann durch einen einfachen Monolog geschehen, durch einen Eintrag im Tagebuch oder durch die Praxis des Inneren Erforschens.<\/p> Wenn wir etwas sorgf\u00e4ltig abgeschlossen haben, ist dann schon Zeit f\u00fcr das Neue? Kommt nach der Ernte im Herbst bereits der Fr\u00fchling? Wenn wir uns dem Kommenden nicht vorschnell zuwenden, \u00f6ffnet sich nach dem Abschlie\u00dfen ein Zwischenraum \u2013 ein Niemandsland, das sich nicht mehr im Alten und noch nicht im Neuen befindet. Hier sind wir zun\u00e4chst etwas orientierungslos \u2013 eben dazwischen. Wen wundert es da, dass wir dazu neigen, diesen Zwischenzustand zu \u00fcbergehen oder ihn mit Ablenkungen zu f\u00fcllen?<\/p> Dabei verpassen wir aber etwas sehr Wesentliches, denn hier ist unsere Aufmerksamkeit ungerichtet und frei, so dass das Tor zur reinen Pr\u00e4senz weit offensteht. Solange wir mit einer Sache besch\u00e4ftigt sind, ist unsere Aufmerksamkeit gebunden und wir sp\u00fcren in der Regel uns selbst und den Raum des SEINs in der Tiefe nicht. Erst hier im Zwischenraum \u2013 dort, wo wir einfach nur sein k\u00f6nnen \u2013 kann man sich innerlich sinken lassen an einen Ort, an dem eine unbedingte Pr\u00e4senz lebt. Auf diese Weise k\u00f6nnen wir heimkommen in der Stille, unabh\u00e4ngig von allen \u00e4u\u00dferen Bedingtheiten. K\u00f6nnen wir uns immer wieder an das SEIN in der Tiefe anbinden, bevor wir wieder an die Oberfl\u00e4che unseres Lebens zur\u00fcckkehren und dort handeln und uns beziehen?<\/p> Gr\u00fcnde dich tief,<\/em> Wenn wir in der Tiefe angekommen sind, wird es sehr leichtfallen, uns auf das Neue einzulassen. Unsere Seele stimmt sich typischerweise von selbst darauf ein. K\u00f6nnen wir nicht bereits im Vorfeld eines wichtigen Termins bemerken, wie unser Geist damit besch\u00e4ftigt ist und schon der Vorabend und die Nacht davor davon eingef\u00e4rbt sind?<\/p> Sich Einstimmen und Bereitmachen ben\u00f6tigt Zeit und kann innerlich wie \u00e4u\u00dferlich stattfinden. \u00c4u\u00dferlich bereiten wir einen Beginn mit Ruhe und Sorgfalt vor, kommen rechtzeitig und gestalten den Raum f\u00fcr das Kommende. Wenn wir zum Beispiel den Raum f\u00fcr ein Meeting liebevoll vorbereiten, stimmen wir uns selbst darauf ein und die Teilnehmenden f\u00fchlen sich von Anfang an willkommen. Genauso k\u00f6nnen uns auch Rituale unterst\u00fctzen, uns bereit zu machen. Denken wir zum Beispiel an die Christenheit, die sich durch die Fastenzeit auf das Osterfest vorbereiten. Sich Einstimmen l\u00e4sst in uns eine besondere Kraft entstehen \u2013 eine Pr\u00e4senz, die dann im Neuen von Anfang an wirkt und sich in unserem Erleben und in unseren Handlungen entfaltet. Dann ist unsere Seele bereit und das Kommende kann beginnen.<\/p> Vor einer Woche fand in Deutschland die Bundestagswahl statt. Unabh\u00e4ngig davon, ob man einen Wechsel der Regierung begr\u00fc\u00dft oder nicht, es ist zutiefst nat\u00fcrlich, dass Dinge zu Ende gehen und Neues entsteht. Ob bei gesellschaftlichen Prozessen oder im pers\u00f6nlichen Leben \u2013 das Leben besteht aus einer Vielzahl von kleinen und gro\u00dfen \u00dcberg\u00e4ngen. Wer sich dagegen str\u00e4ubt, wird von den Ereignissen \u00fcberrollt. Und wer sich keine Zeit daf\u00fcr nimmt \u2013 vielleicht aus der Angst heraus, etwas zu vers\u00e4umen \u2013, wird im st\u00e4ndigen Wechsel der Situationen verloren gehen.<\/p>\n","protected":false},"author":5,"featured_media":16451,"comment_status":"closed","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_acf_changed":false,"_mo_disable_npp":"","inline_featured_image":false,"_lmt_disableupdate":"no","_lmt_disable":"","footnotes":""},"categories":[105],"tags":[],"class_list":["post-16441","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-kolumne-richard-stiegler"],"acf":[],"yoast_head":"\n
Von den kleinen und gro\u00dfen \u00dcberg\u00e4ngen<\/strong><\/p>
Phase 1: Abschlie\u00dfen und Verdauen<\/strong><\/p>
Phase 2: Zwischenr\u00e4ume<\/strong><\/p>
bevor du handelst.<\/em>
Sei erstmal da. Tu nichts.
<\/em>(aus: Richard Stiegler, \u201eDie Kunst des Begleitens\u201c)<\/p><\/blockquote>
Phase 3: Sich bereit machen<\/strong><\/p>
\u00dcBUNG: \u00dcberg\u00e4nge bewusst gestalten<\/strong><\/p>