{"id":14395,"date":"2024-02-20T09:59:53","date_gmt":"2024-02-20T08:59:53","guid":{"rendered":"https:\/\/domicilium.de\/zen-spiritualitaet-bildung\/?p=14395"},"modified":"2024-05-14T11:09:50","modified_gmt":"2024-05-14T09:09:50","slug":"richard-stiegler-achtsames-leben-wie-die-vereinzelung-zunimmt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/domicilium.de\/zen-spiritualitaet-bildung\/richard-stiegler-achtsames-leben-wie-die-vereinzelung-zunimmt\/","title":{"rendered":"Richard Stiegler: \u201eAchtsames Leben \u2013 Wie die Vereinzelung zunimmt“"},"content":{"rendered":"\t\t
In meiner Kindheit war der Gottesdienst am Sonntag noch eine Institution, bei der die Menschen zusammenkamen. Heutzutage f\u00fchlen sich jedoch immer weniger Menschen in den Kirchen daheim. Die leeren Gottesdienste und die zahlreichen Kirchenaustritte sprechen B\u00e4nde.<\/p>\n
Das bedeutet nicht, dass sich weniger Menschen nach einer spirituellen Anbindung sehnen, aber sie suchen diese nicht mehr in den traditionellen Kirchen und den althergebrachten Riten. Vielmehr gehen sie eigene Wege und praktizieren spirituelle Methoden, welche vor allen Dingen einen erfahrungsbetonten Zugang f\u00f6rdern. Die Schattenseite dieser Entwicklung ist, dass das Gef\u00fchl von Zugeh\u00f6rigkeit abnimmt und der spirituelle Weg immer individueller wird. Die Freiheit, das zu glauben, was wir wollen, nimmt zu, die Vereinzelung und Verunsicherung jedoch auch.<\/p>\n
\u00a0<\/p>\n
Eine schleichende Verunsicherung<\/strong><\/p>\n Dass unser Leben immer individueller wird, k\u00f6nnen wir nicht nur in der Spiritualit\u00e4t, sondern in vielen Bereichen unseres Lebens feststellen. Ein wesentliches Merkmal des modernen Lebens ist, dass es zu einer schleichenden Aufl\u00f6sung von Zugeh\u00f6rigkeiten kommt. Verbindende gesellschaftliche Strukturen wie die Zugeh\u00f6rigkeit zu einer bestimmten Religion, zu einer Firma in der Arbeitswelt oder auch zu einer einheitlichen ethnischen Gruppe mit einheitlichen Werten sind nicht mehr selbstverst\u00e4ndlich und so fallen viele – f\u00fcr lange Zeit vertraute und verbindende – Bezugspunkte weg.<\/p>\n Ist es da ein Wunder, dass in der Gesellschaft nicht nur die Einsamkeit, sondern auch die Verunsicherung um sich greift? So k\u00f6nnen wir beobachten, wie nicht wenige, die sich durch das Aufl\u00f6sen vertrauter Werte und Strukturen bedroht f\u00fchlen, das \u201eWir-Gef\u00fchl\u201c in der Abgrenzung zu Fl\u00fcchtenden, zu Moslems, zu queeren Menschen oder zur Europ\u00e4ischen Union suchen. Ist das Wiedererstarken autorit\u00e4rer Systeme und neuer rechter politischer Kr\u00e4fte vielleicht der Versuch, einer grundlegenden Verunsicherung \u00fcber die eigene Identit\u00e4t entgegenzuwirken?<\/p>\n \u00a0<\/p>\n Was uns Halt gibt<\/strong><\/p>\n Es lohnt sich, einmal genauer zu betrachten, woraus Menschen das Gef\u00fchl von innerer Sicherheit und Selbstwert beziehen. Im Zentrum steht hier immer das Identit\u00e4tsgef\u00fchl. Wer glaube ich zu sein? Auf welchen Selbstbildern und Werten ist meine Identit\u00e4t aufgebaut? Mit welchen Aufgaben und Rollen bin ich identifiziert? Welchen Platz nehme ich in meinen Beziehungssystemen ein? Es gibt bei genauerer Betrachtung eine Vielzahl an inneren und \u00e4u\u00dferen Aspekten, die im Zusammenklang unsere Identit\u00e4t ausmachen und uns das Empfinden von Kontinuit\u00e4t, von Sicherheit und Selbstwert vermitteln.<\/p>\n Nehmen wir an, wir haben ein Selbstbild von St\u00e4rke und Leistungsf\u00e4higkeit. Wenn wir diesem Bild entsprechen k\u00f6nnen, f\u00fchlen wir uns mit unserer Identit\u00e4t im Einklang und damit stabil und wertvoll. Wenn wir jedoch mit Schw\u00e4che konfrontiert sind, verunsichert uns das und wir f\u00fchlen uns schnell als wertlos. Genauso gibt es uns Halt, wenn wir einen guten Platz in Beziehungssystemen haben. L\u00f6st sich diese Zugeh\u00f6rigkeit pl\u00f6tzlich auf, wird der innere Halt der Identit\u00e4t und unser Selbstwert zu einem schwankenden Boden.<\/p>\n \u00a0<\/p>\n Wir sind nicht festgelegt<\/strong><\/p>\n Nun ist die Identit\u00e4t keineswegs ein feststehendes Geb\u00e4ude, das uns eindeutig definiert, wie man im ersten Moment glauben k\u00f6nnte. Im Gegenteil k\u00f6nnen sich zentrale Aspekte, die lange Zeit unser Selbstgef\u00fchl bestimmen, grundlegend ver\u00e4ndern. Es kann zum Beispiel sein, dass f\u00fcr eine gewisse Zeit der berufliche Erfolg f\u00fcr uns die h\u00f6chste Wertigkeit besitzt. Doch dann, nach der Gr\u00fcndung einer Familie oder einem Schicksalsschlag kann sich das innere Wertesystem radikal verschieben. Pl\u00f6tzlich sind uns die Kinder oder Freundschaften viel wichtiger als der Beruf.<\/p>\n Nicht nur unsere Werte und Selbstbilder, sondern alles, was uns scheinbar definiert, kann (und wird) sich im Laufe unseres Lebens \u00e4ndern: Unser K\u00f6rper wird \u00e4lter, Beziehungen \u00e4ndern sich, wichtige Rollen l\u00f6sen sich auf und Objekte, die wir besitzen, gehen kaputt und neue werden erworben. Jedes Mal, wenn sich etwas grundlegend ver\u00e4ndert, das mit unserer Identit\u00e4t verkn\u00fcpft ist, muss das innere Haus umgebaut werden. Wir durchlaufen dabei eine Phase der seelischen Verarbeitung und Verunsicherung, bis wir uns innerlich wieder neu eingerichtet haben. Je schneller sich das \u00e4u\u00dfere Umfeld ver\u00e4ndert (im eigenen Leben oder auch in der Gesellschaft), desto gravierender wirkt sich das auf das Identit\u00e4tsgef\u00fchl und damit unser Empfinden von Sicherheit und Selbstwert aus. Doch es hilft nichts. Wenn wir uns nicht im alten Weltbild einigeln und damit verh\u00e4rten und verbittern wollen, m\u00fcssen wir anerkennen, dass das innere Haus der Identit\u00e4t eine Dauerbaustelle ist.<\/p>\n \u00a0<\/p>\n Flie\u00dfende Offenheit<\/strong><\/p>\n In einer Zeit nun, in der sich gesellschaftliche Werte, vertraute Rituale und Zugeh\u00f6rigkeiten sehr schnell wandeln, wird daher auf einer kollektiven Ebene das Identit\u00e4tsgef\u00fchl verunsichert und die Gefahr von Verh\u00e4rtungen steigt. Denn auch im Festhalten an alten Strukturen und im Widerstand gegen \u2026 k\u00f6nnen wir einen neuen Halt in uns aufbauen und mit anderen Menschen, die sich auch durch Widerstand definieren, ein Zugeh\u00f6rigkeitsgef\u00fchl entwickeln.<\/p>\n Um nicht in die Falle der Verh\u00e4rtung zu tappen, gibt es nur einen Weg: Die Verunsicherung als eine nat\u00fcrliche Phase von innerer Entwicklung anzuerkennen und sie zur Freundin zu machen. Dort, wo wir verunsichert sind, l\u00f6sen sich alte Identifikationen auf. Wenn wir diese Momente wertsch\u00e4tzen und sie zulassen, wird sich daraus ganz nat\u00fcrlich mit der Zeit eine flie\u00dfende Offenheit entwickeln, die es uns erm\u00f6glicht, in den Ver\u00e4nderungen und Umbr\u00fcchen des Lebens weich zu bleiben und immer wieder neu unseren nat\u00fcrlichen Platz im sich stetig ver\u00e4ndernden Fluss des Lebens zu finden.<\/p>\n \u00a0<\/p>\n Je oberfl\u00e4chlicher ich bin, desto berechenbarer werde ich.<\/em> Hans-Peter D\u00fcrr<\/em><\/p>\n \u00a0<\/p>\n \u00dcBUNG: Ein Spaziergang in die Offenheit<\/strong><\/p>\n In meiner Kindheit war der Gottesdienst am Sonntag noch eine Institution, bei der die Menschen zusammenkamen. Heutzutage f\u00fchlen sich jedoch immer weniger Menschen in den Kirchen daheim. Die leeren Gottesdienste und die zahlreichen Kirchenaustritte sprechen B\u00e4nde.<\/p>\n","protected":false},"author":7,"featured_media":14400,"comment_status":"open","ping_status":"closed","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_acf_changed":false,"_mo_disable_npp":"","inline_featured_image":false,"_lmt_disableupdate":"no","_lmt_disable":"","footnotes":""},"categories":[105],"tags":[],"class_list":["post-14395","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-kolumne-richard-stiegler"],"acf":[],"yoast_head":"\n
Je tiefer und lebendiger ich bin, desto unberechenbarer und offener werde ich.<\/span><\/em><\/p>\n\n
<\/li>\n
<\/li>\n
<\/li>\n
<\/li>\n
<\/li>\n